Hundstage 2017: My imaginary road trip

von Schreiben

Alle fahren jetzt in die Ferien. Und ich träume.

Es ist Anfang August, wir sind mitten in der Hundstageperiode. Die feuchtwarme Luft bringt selbst nachts kaum Abkühlung, die Schwüle treibt mir schon frühmorgens Schweißperlen auf die Stirn. Ich schwitze, noch bevor ich nur einen Arm zur ersten Yogaübung hebe. Jetzt sind die idealen Wochen um sich auszuklinken, Badelatschen, Strandtasche, Sonnencreme und die Kinder einzupacken und sich in die Sommerferien zu verabschieden. Seit meine Kinder nicht mehr schulpflichtig sind und ich damit unabhängig von Ferienkalendern bin, lasse ich urlaubsreifen Familien den Vortritt in den Flieger oder Campingbus zu steigen. Sollen sie diese kostbaren Tage genießen und die Hotels und den Strand bevölkern. Ich komme später, am Ende des Sommers, wenn die Kleinen wieder die Schulbank drücken und Mama und Papa ins Büro zurückgekehrt sein werden.

Die Nachbarn sind weg, ich träume wie in jedem Jahr an den heißen Tagen auf der Terrasse vor mich hin. Neben mir stapeln sich Peter Mayles Erzählungen aus der Provence. Kein Wunder also, dass meine Tagträume von Urlaub handeln, wenn ich das Buch zur Seite lege, um ein wohl verdientes Nickerchen einzulegen (lesen macht definitiv müde). Das geht seit ungezählten Jahren so, es ist ein lieb gewonnenes Vergnügen.
In diesem Sommer schleicht sich allerdings ein neuer Traum in meinen Kopf. Darin sitze ich weder in der Provence, noch dümpelt mein imaginäres Hausboot auf einem ebenso imaginären Gewässer. Wo sind meine vertrauten Bilder geblieben, die zu den Hundstagen gehören wie die kühle Limo im Glas oder dem Summen der Bienen im Lavendelstrauch neben meiner Liege?

Mein Traum hat sich völlig verändert. Ich bin unterwegs, auf einem Road Trip, fahre allein durch die Gegend. Wobei ich „die Gegend“ nicht erkenne, sondern allenfalls ahne, wo ich herumkurve. Auf keinen Fall bin ich in der Provence mit ihren Lavendelfeldern, den Hügeln und den geduckt in Mulden hinter Feldern liegenden Häusern. Auch vom Wannsee keine Spur, auf den ich von meinem Hausboot aus in den letzten Jahren in meinen Hundstageträumen schaute. Was auch immer geschehen sein mag, die Provencegeschichten wurden offenbar von einer neuen, gänzlich anderen Sehnsucht meines Unterbewusstseins überlagert. Ich sitze am Steuer eines Autos, vermutlich ist es ein Geländewagen oder Bulli, fahre an Häusern und Vorgärten mit ordentlich gestutzten Rasenflächen vorbei, durch ruhige Straßen, die an eine der kleinen Städtchen in den New England States erinnern. Dorthin will ich zwar schon lange reisen, doch bisher habe ich es nur bis zu den Ausläufern Virginias geschafft. Und auch das nur im Chevrolet während Recherchereisen. Keine Abenteuerfahrt im Jeep, kein Ferientrip ins Blaue, ohne festes Ziel, ohne Hotelbuchung. Im Business reiste ich auch allein, hier trifft mein Traum auf die Wirklichkeit. Doch warum kommt diese aufgeschobene und fast vergessene Idee vom Road Trip gerade jetzt wieder hoch? Möchte ich immer noch mit One-Way-Ticket nach Boston fliegen, im Mietwagen die Bilderbuchwelt der New England States erkunden, nach Norden fahren, in Motels absteigen und jede Menge Lobster essen, während ich in einem Hafenlokal in Maine sitze und die Möwen beobachte? Später bin ich wieder zurück auf der Landstraße, lasse die malerische Häuserkulisse des nächsten Ortes hinter mir und stoppe an einem etwas abseits gelegenen Bed & Breakfast.
Beim Frühstück, im Kolonialwarenladen, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint und am Nachbartisch im einzigen örtlichen Diner komme ich mit Leuten ins Gespräch. Ich erfahre von der Kellnerin, dass sie ihr Budget fürs nächste Studienjahr mit diesem Sommerjob aufbessert. Sie freut sich über mein nicht typisch deutsches, sondern großzügig bemessenes Trinkgeld. Dafür versorgt sie mich mit Insidertipps: Wo finde ich Maple Syrup aus Vermont, Yankee Candles, die ich jetzt statt in Frankfurt am Main in South Deerfield/Massachusetts, woher die Marke ursprünglich stammt, kaufen kann oder tatsächlich handgefertigte Quilts in einem Garagenladen, den ich ohne ihre detaillierte Wegbeschreibung niemals gefunden hätte.

Bin ich das in der Geschichte oder geistert eine fiktive Figur durch meinen Kopf? Sitze ich am Lenkrad oder die Hauptdarstellerin eines Buches? Oder ergebe ich mich der feuchten Schwüle, indem ich in Zuckergussfantasien schwelge? Wie auch immer: Meine neue Hundstagefiktion ist ein wunderbarer Ansatz für eine Short Story. Die New England States werden wohl noch eine Weile auf mich warten müssen, ich maße mir auch nicht an, meine Geschichte ohne Vor-Ort-Recherche dort anzusiedeln. Zuckergussimpressionen konnte ich in Pennsylvania und Maryland sammeln. Die Protagonistin könnte folglich in ihren blauen Chevy steigen und losfahren. Wohin sie fahren wird, weiß sie noch nicht. Sie lässt sich treiben. Wird anhalten, wo es ihr gefällt. In Gemeinden mit nur ein paar Häusern, einer Tankstelle, am Ortrand an einer Mall von weniger gigantischem Ausmaß als andernorts, daneben zwei Fast-Food-Restaurants, ein Spirituosenladen, Heimwerkermarkt, ein schmaler, lang gestreckter Flachbau mit Büros, Friseurladen und Nagelstudio.

Vielleicht werde ich die Story demnächst auf Mein blauer Lippenstift weitererzählen. Bisher fanden meine Sommertagfantasien in meinen Texten nicht statt. Das soll sich ändern. Es dauerte sehr lange, bis ich mir dieser Ressource überhaupt bewusst wurde. Sicher, nach dem Traum ist vor der Arbeit. Bevor das Texten beginnen kann, steht die Recherche, mindestens jedoch muss ich meine Erinnerungen rauskramen, Fotos sichten, um mein Gedächtnis in Schwung zu bringen, im Archiv nach Features suchen, in denen ich meine Eindrücke von Land und Menschen einfließen ließ. Meine Hundstagegeschichte 2017 wird folglich von Impressionen geleitet statt aus reiner Fiktion (Peter Mayle – Hausboot) geboren sein. Möglicherweise steht am Ende der Entschluss, den Koffer doch noch zu packen, einen Mietwagen zu buchen und in den Indian Summer zu starten. Es ist schließlich nicht mehr wirklich lange bis zur Adventszeit. Dann könnte eine Yankee Candle „Pomegranate Cider“ im Wohnzimmer duften.

 

Meine aktuelle Schreibstimmung: Meine Träume liefern Ideen für neue Geschichten.
Jetzt gilt: Wach bleiben und aufschreiben.
Der Lippenstift: „All you need is red“ von Essence        HKW_Website_ Icon Artikelende

Last modified: 3. August 2017

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