Landfrust

von Schreiben

Schreiben auf dem Land bedeutet entspannte Stunden im Einklang mit Flora und Fauna zu verbringen. Eigentlich. Wenn man sich mit den kleinen Belästigungen arrangiert.

In den ersten Tagen nach der Ankunft döse ich aufgrund der Stille entspannt ein, anstatt zu schreiben, hatte ich vor ein paar Monaten über die Zeit geschrieben, die ich auf dem Land verbringe. Seit Jahren pendle ich zwischen Großstadt und Provinz. Vor vier Tagen ist wieder eine Provinzphase angebrochen, ich bin zurück aus Berlin. Das Schreiben musste allerdings bis heute warten, da ich bei meiner Ankunft feststellte, dass während meiner Abwesenheit offenbar ausgelassene Partys gefeiert wurden. Außerdem hatte sich eine illegale Hausbesetzerszene eingenistet. Unfassbar, wir sind schließlich weder im Hamburger Schanzenviertel noch in Berlin-Prenzlauer Berg.

So sehr ich das Leben in der Stadt liebe, so gerne komme ich zurück in die Provinz. Zumindest für einige Zeit, bis sich mein bis oben mit Reizen und Anregungen und ja, auch mit Stress gefüllter Tank allmählich entleert haben wird. Nach längerer Abwesenheit erwartet mich jede Menge Arbeit, das ist normal. Wäsche waschen, Betten frisch beziehen oder den Staub von mehreren Monaten wischen ist zwar nicht beglückend, macht mir aber nichts aus. Es gehört zum Wiedereingewöhnungsprozess.
Als ich vor ein paar Tagen nach Hause kam, erwarteten mich aber einige Überraschungen, die nichts mit den üblichen Hausarbeiten zu tun hatten. Die mich misslaunig werden ließen, weil sie mich bis heute vom Schreiben abhielten. Dabei ist es gerade im Sommer schön hier in einiger Entfernung zur nächsten Stadt und in sehr großer Distanz zur lauten Metropole Berlin.

Die üblichen Staus auf der Autobahn hatte ich eben verkraftet, ich freute mich auf einen Kaffee. Danach wollte ich auspacken, denn solange mich geöffnete halb leere Reisetaschen anstarren, bin ich nicht wirklich wieder zu Hause. Den Kaffee trank ich, danach folgte eine Strategiebesprechung aus akuten Anlässen, die meine Schreibpläne für die nächsten Tage durchkreuzten: Als ich den ersten Rollladen hochzog, sah ich auf eine mit Vogeldreck übersäte Fensterbank. Offensichtlich hatten Vögel, ich vermute, es waren meine Freunde die Sperlinge, während unserer Abwesenheit Fressorgien gefeiert und alle verfügbaren Fensterbänke zur Toilette umfunktioniert. Wochenlange Sonnenbestrahlung machte die Sache nicht eben besser.
Die letzten Tage vergeudete ich folglich mit dem Wegwischen ihrer Verdauungsüberreste. Das nehme ich den Sperlingen übel. Diesen Dreck konnte ich nicht einfach ruck, zuck mit einem Küchentuch wegwischen. Ich musste mit Spezialspray und anschließend mit Seifenlauge anrücken, was Kraft und Nerven kostete. Ob ich ihnen die Freundschaft kündigen sollte? Schließlich füttere ich sie während des Winters ausdauernd und liebevoll. Und ihnen fällt nix Besseres ein, als sich auszutoben, sobald sie das Haus in ihrem Besitz glauben.

Hatten die Vögel unser Haus lediglich als stilles Örtchen benutzt, fanden sich bei meiner Ankunft Mitbewohner vor, die sich als neue Hausbesitzer aufspielten: Eine Kolonie Wespen war dabei, ihr Netz in den Verputz der Hauswand zu bauen. Unter dem Küchenfenster lag ihre Start- und Landebahn; es summte gewaltig. Ich hörte förmlich, wie sie sich zuraunten „Was machen die denn schon wieder hier. Wir brauchen noch ein paar Tage bis zur Fertigstellung.“
Ein kleiner Berg Farbpartikel der gelben Hauswand am Boden zeugte von einer bereits länger bestehenden Bauzeit. Also bewaffnete mein Partner sich mit Lavendelessenz, um den Herrschaften zu Leibe zu rücken.
Den Duft von Lavendel mögen sie nicht. Sie zögerten, hofften vermutlich, dem Geruch zu entkommen, doch letztlich blieb nur eine Lösung: Abflug.
Wenn man auf dem Land lebt, ist man nie ganz allein im Haus. Die eine oder andere Spinne im Keller, Käfer vor der Tür oder ein Grashüpfer auf der zum Lüften ausgelegten Bettdecke gehören dazu.
Doch diese Hausbesetzer mussten gehen!

Ich frage mich, weshalb man bei der ewigen Baustelle des BER nicht längst auf eine Spezies vertraut, die mit absoluter Präzision, mit unglaublicher Mannstärke und mit kaum vorstellbarer Geschwindigkeit arbeitet und zudem weder Sonn- noch Feiertag kennt: die Ameisen. Mehrere Hundertschaften hatten über die gesamte Terrasse eine Autobahn gebaut, die sie offenbar noch bis in die Blumenbeete zu verlängern planten. Keine Ahnung, wohin das Bauwerk letztlich führen sollte, die Truppe redete nicht mir. Sie würdigte mich keines Blickes. Und wer der Bauleiter war, konnte ich nicht ausmachen. Entweder wechselten sie sich in der Chefposition ab oder der Big Boss hielt bereits nach Möglichkeiten für weitere Straßenbauten im Garten Ausschau. Das Projekt „BAB Ausbau Terrasse HKW“ musste mittels gezielt verteilter Tropfen Geschirrspülmittel ein vorzeitiges Ende finden. Die emsigen Arbeiter sollten sich ein anderes Baugebiet erschließen.

Niemand war erfreut, manche vermutlich erbost. Doch Ameisen, Käfer, Spinnen, Wespen und auch meine Freunde die Sperlinge wurden in ihre Schranken verwiesen. Sie sind allenfalls als Draußenmitbewohner geduldet. Wobei draußen bedeutet, nicht in der Hauswand graben, Fensterbänke sind kein Klo und auf der Terrasse herrscht Bauverbot. Drinnen werde ich mich ab heute wieder in Ruhe meinen Texten widmen, während ich dem Treiben draußen zusehe. Und darüber eindöse.

Bleibt zu erwähnen, dass sich der Löwenzahn unter der Garagentür hindurch ins Innere geschoben hatte, die Lorbeerhecke die Gartentür versperrte und die Lavendelbüsche über den Gehweg wucherten. Damit werden wir uns nach und nach befassen. Ich frage mich allerdings, ob die tierischen Eindringlinge künftig meine Telefonate belauschen werden, um zu erfahren, wann ich wieder abreise in Richtung Berlin? Um dann noch schneller und effizienter vorzugehen, um das Haus endgültig in Besitz zu nehmen.

Meine aktuelle Schreibstimmung: Message an alle Mitbewohner: Ich bin zurück.
Der Lippenstift: „Hug Me“ von Astor        HKW_Website_ Icon Artikelende

Last modified: 17. Juli 2017

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