Mein Wolkenschieber

von HKWs Pinnwand

Wenn ich aufgebracht bin, hilft nur eines: Ich setze meinen Wolkenschieber ein.

Anfang der Woche war ich sauer. Nicht ein bisschen ärgerlich, sondern stinkwütend. Dabei sollte ich es längst besser wissen, sollte Fallen erkennen, bevor ich reintappe. Es würde zu weit führen, die Details zu erklären. Nur soviel: Seit Jahrzehnten bin ich Freiberuflerin. Was sich eigentlich lässig anhört. Frei vom Joch des Alltags, kein Chef, individuelle Zeiteinteilung, Urlaub, wann immer man möchte. Soweit die Fantasie. Die Realität: Auftraggeber statt Chef, Wochenende und abends arbeiten, statt um fünf den PC runterzufahren, Mobiltelefon und Notebook kommen selbstverständlich mit in die Ferien.
Aber ich will mich nicht beklagen. Als „Freie“ zu arbeiten habe ich mir selbst ausgesucht und es bis heute nicht bereut. Es bot sich als Lösung an, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Doch ich kenne leider auch die Kehrseite dieser Entscheidung. Anders als mein Partner, der an geregelte Arbeitszeiten gebunden ist und ein festes Einkommen bezieht, muss ich mich nackig machen, um zu zeigen, dass ich ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft bin und kein Schmarotzerdasein führe. Verdienstnachweis? Kann ich nicht vorlegen. Also müssen es die Steuerbescheide wer weiß wie vieler Jahre sein. Man braucht die Beruhigung, dass ich… Ja was eigentlich? Dass ich keine Gaunerin bin, die frei wie ein Vogel die Pflichten ordentlicher Steuerzahler umfliegt? Dass ich fähig bin, mein Geld zusammenzuhalten, um anfallende Rechnungen zu begleichen, bevor der erste Mahnbescheid ins Haus flattert?

Neben den Fallen, die sich um die Finanzen drehen, stellt man uns Freien noch jede Menge anderer Hürden in den Weg. Vor Jahren erkundigte ich mich zum Beispiel bei der Arbeitsagentur nach einer Beratung für freiberufliche Journalisten. Das Telefonat verlief wie eine Szene aus einer Slapstickkomödie. Ich suchte Beratung, keine Arbeit? Ich stünde dem Arbeitsmarkt folglich nicht zur Verfügung? Nein, denn Arbeit hatte ich ja, ich wollte mich lediglich nach den alternativen Möglichkeiten meines Berufes erkundigen. Dann solle ich doch einfach vorbeikommen, eine Nummer ziehen und mich als arbeitssuchend registrieren lassen, lautete die Message am Ende des geschätzt zehnminütigen Telefonates. Gelassen habe ich es schließlich, dem Herrn wieder und wieder zu erklären, dass ich genau das nicht wolle. Die Frage nach einem Beratungstermin kam in seinem kompetenten Ohr erst gar nicht an. Zumindest nicht von einer freiberuflich tätigen Frau. Nummer ziehen und die Statistik um eine Arbeitssuchende erhöhen. Mehr Unterstützung war nicht drin.
Solche oder ähnliche Situationen lassen mich erst ratlos, dann wütend zurück, und schließlich wird mir einmal mehr bewusst: Ich kann mir nur selbst helfen. Also tat ich, was ich gelernt hatte: Ich recherchierte meine Möglichkeiten, nahm Kontakte auf, befragte meinen Kontostand, welche Ausgaben er zulässt, suchte mir ohne amtliche Unterstützung eine Lösung. Ein Coach half mir schließlich weiter, was der Staatsdiener leider nicht zustande bringen konnte (wollte?).

Als Freiberuflerin ist man in den Augen seiner Umgebung eine beneidenswerte Person. Da ich zur Babyboomer-Generation gehöre, was bedeutete, meine Kinder bekamen erst einen Kitaplatz, als sie drei Jahre alt waren, verlief mein Berufsweg nicht stromlinienförmig. Meine zu erwartende Rentensumme wird entsprechend bescheiden ausfallen. Ich habe vorgesorgt, um das Schlimmste zu vermeiden. Mein Einkommen als Selbstständige komplettierte das Auskommen der Familie, soweit ist alles im Lot. Aber: Ich bleibe für immer – bei Wohnungssuchen, Kreditvergaben, beim Arbeits- und Finanzamt die Unberechenbare, die ohne festes Einkommen, die Person, der man nicht trauen kann. Die allerdings auch keine Forderungen stellen darf, denn: Sie hat obendrein einen Ehemann. Der zählt mehr als Kontenguthaben, die beste Schufa-Auskunft oder dem Nachweis, stattliche Beträge in die Staatskasse gezahlt zu haben.

Vor ein paar Tagen bin ich nach langer Zeit wieder einmal mit beiden Füßen in eine Falle gestapft. Ich geriet an eine Sachbearbeiterin, die sich, wie oft habe ich das schon gehört, nur an die ihr vorgegebenen Vorschriften hielt. Kein Argument zählte. Ich bin Freiberuflerin. Das alte Spiel.
Mein Ärger war groß, eine Lösung nicht in Sicht. Ich musste mich erst beruhigen. Doch noch so viele Tauben, kein Hund, keine Katze oder Kuh half; ich schaffte es nicht, mich auf die Yogaübungen konzentrieren. Meditation ist schon unter normalen Bedingungen schwierig für meine achtspurige Gedankenautobahn. Diesen Versuch konnte ich mir folglich sparen. Als Ausweg blieb wie immer das Schreiben. Das hilft mir, die Gedanken zu strukturieren, logische von unlogischen Rückschlüssen zu trennen. Es lässt mich klarer denken, erkennen, was mich immer wieder dermaßen aufbringt, obwohl ich ähnliche Situationen schon oft erlebt habe.
Bereits begonnene Manuskripte ließ ich allerdings unberührt, da sämtliche Änderungen sich später als unbrauchbar erweisen würden. Eine neue Geschichte zu schreiben war ebenfalls unsinnig, ich hätte ohnehin nur eine Wutrede verfasst. Stattdessen stellte ich mich vor die Regale in meinem Arbeitszimmer, um mir Beistand von Autoren zu suchen, deren professionellen Rat ich seit langem schätze. Ich wählte Louise Doughtys Ein Roman in einem Jahr aus (erschienen beim Autorenhaus Verlag, http://louisedoughty.com/), setzte mich an den Schreibtisch, schlug das Buch an einer beliebigen Seite auf und folgte den Übungsanweisungen.
Ich schrieb

wie ich mich eines Tages verirrte.

weshalb ich einen Roman schreiben will.

eine Kurzgeschichte um, die ich vor langer Zeit verfasst hatte. Ich kürzte sie um ein Viertel.

drei komplett unterschiedliche Dialoge mit der Sachbearbeiterin.

bewusst kurze Sätze. Einfache Aussagesätze, keine Schnörkel, Kommata oder Nebensätze.

Am Ende meiner Hausaufgabenzeit fühlte ich mich leer geschrieben. Vor allem jedoch hatte sich die Wut verzogen.
Ich war keine Loserin mehr, sondern Autorin, freiberufliche Autorin, um korrekt zu bleiben. Mein Wolkenschieber funktionierte auch dieses Mal zuverlässig. Großmütig sage ich heute allen bedauernswerten Bürokraten und Beamten hinter ihren grauen Schreibtischen und den braven Nine-to-five-Regelbefolgern: Ich verzeihe euch, denn im Unterschied zu euch bin ich FREI!

Last modified: 15. September 2017

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