Alte Bekannte

von Bücher

Ich bin zurück von einer Reise, bin wieder zu Hause. Dieser Umstand wäre keiner Erwähnung wert, wenn ich nicht jedes Mal nach einer Reise unter akutem Lesemangel leiden würde.

Dazu muss ich erklären: Ich hatte keinen Urlaub mit langen Lesestunden im Liegestuhl am Strand, sondern nur ein paar Tage in einer Stadt. Was bedeutet, es blieb wieder mal zu wenig Zeit zum Lesen. Im Flugzeug oder in der Bahn krame ich zwar gleich nach dem Start ein Buch aus der Tasche. Doch nach wenigen Minuten siegt meine Neugier. Ich lausche Gesprächen, manchmal auch Telefonaten, bin abgelenkt von meiner Lektüre. Es könnte sich um eine Nebenwirkung meiner Tätigkeit als einsam arbeitende Autorin handeln. Wenn ich schon mal raus komme, lausche ich. Nach der Ankunft am Zielort finde ich zwischen meinen Terminen auch kaum die Zeit, um die Nase ins Buch zu stecken. Und abends falle ich müde ins Bett.

Anders sieht es bei Autofahrten aus. Ich habe keine Gelegenheit andere zu belauschen, kann aber dennoch nicht lesen. Weder als Fahrerin (ein Scherz!), noch als Mitfahrerin. Das liegt am Gleichgewichtsorgan, dem Vestibularapparat in meinem Innenohr. Mediziner können Ursache und Wirkung exakt erklären, mir reicht die Erfahrung, dass es mir hundeübel wird, sobald ich während des Fahrens auch nur wenige Zeilen lese.

Kaum ist die Reisetasche wieder zuhause abgestellt, führen mich meine Entzugserscheinungen auf direktem Weg zu den Bücherstapeln, die ich überall in der Wohnung aufgeschichtet habe. Oder ich stelle mich vor die Bücherwand und spiele eines meiner Lieblingsspiele: Welches Buch habe ich lange nicht gelesen / will ich unbedingt mal wieder lesen? Ich lege den Kopf schief, lese auf den Buchrücken Titel und Autoren, wähle einzelne Bücher aus, stelle sie zurück an ihren Platz, ziehe andere aus den Reihen. Neben meinen Füßen bildet sich ein neuer Stapel, ältere und alte Bücher, leichte und weniger leichte Kost, unterschiedliche Autoren. Es ist ein nicht allzu hoher Stapel. Genau die richtige Menge, um mich durch die letzten Winterwochen zu begleiten.

Der Schauplatz:
Der Bryant Park hinter der Public Library, der öffentlichen Bibliothek in Midtown Manhattan.

Der Zuschauer:
Der Berliner Autor Ulrich Peltzer, bekennender Liebhaber von Metropolen.

Das Buch:
Ein Nachmittag im Bryant Park. Beobachtungen, Impressionen, Gedankenreisen.

Bryant Park, Ulrich Peltzer, Ammann Verlag

 

Betty Halbreichs Buch in den Händen zu halten, bedeutet für mich, eine Bekannte zu treffen. Beim Lunch mit der New Yorkerin war es mir nie auch nur eine Minute langweilig. Als Personal Shopperin bei Bergdorf Goodman ist Betty eine Institution, auf deren Rat Celebritys wie Sarah Jessica Parker oder Meryl Streep vertrauen. In ihrem Buch lässt sie ihr Leben Revue passieren, erzählt freimütig von Höhen und Tiefen.

I’ll Drink to That, Betty Halbreich, The Penguin Press

 

Sylvia Plaths autobiografisches Vermächtnis ist keine Lektüre für graue Wintertage. Eine junge, höchst begabte Schriftstellerin und Lyrikerin, vom Ehemann verlassen, verantwortlich für zwei kleine Kinder, kaum Geld, weit weg von ihrer Heimat lebt die Amerikanerin Anfang der 60er Jahre in London. Traurig, depressiv und schließlich hoffnungslos beendet die Protagonistin des Buches ihr Leben auf die gleiche drastische Weise wie Sylvia Plath selbst. Plath wurde posthum mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Sie galt als Symbolfigur der Frauenbewegung.

Die Glasglocke, Sylvia Plath, Bibliothek Suhrkamp

 

Nomi wächst in der Religionsgemeinschaft der Mennoniten in einer kanadischen Kleinstadt auf. Nach dem Verlust von Mutter und Schwester bleibt Nomi allein beim Vater zurück. Die Annäherung der beiden gestaltet sich schwierig, die Zwänge der religiösen Gemeinschaft sind stark.

Ein komplizierter Akt der Liebe, Miriam Toews, Berlin Verlag

 

Auf der Flucht vor einem Pogrom im nachrevolutionären Russland heiratet Leah den sanften David und geht mit ihm nach New York. Die Geschichte erzählt von den Kämpfen der Einwanderer, von Liebe und dem Aufbau eines Lebens in der Fremde. Leahs Weg ist geprägt von Erinnerungen an die Hitlerjahre, den Zweiten Weltkrieg und die Entstehung des Staates Israel.

Leah’s Journey, Gloria Goldreich, Syracuse University Press

 

In Andrews Haus, das er mithilfe seiner Psychologin in seinem Kopf gebaut hat, wohnen diverse Menschen jeden Alters. Die Hausgemeinschaft wird gestört, als Andrew Penny kennenlernt. Auch sie leidet unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung, was sie allerdings noch nicht ahnt.

Ich und die anderen, Matt Ruff, Deutscher Taschenbuch Verlag

 

Es ist die Zeit Anfang der 1990er Jahre. Ayatollah Chomeini herrscht im Iran nach der Revolution mit harter Hand. Die 24-jährige Soraya, Mutter von neun Kindern, fällt dem Komplott der Männer eines ganzen Dorfes zum Opfer. Man bezichtigt sie des Ehebruchs und verurteilt sie nach islamischem Gesetz zum Tod durch Steinigung. Den ersten Stein wirft ihr Vater, danach folgen Steine ihres Ehemannes und ihrer ältesten Söhne. Die Geschichte einer Frau, die dem verblendeten Glauben zum Opfer fällt.

Die gesteinigte Frau, Freidoune Sahebjam, Rowohlt Verlag

 

Lisa wurde strafversetzt nach Dublin, um ein neues Modemagazin aufzubauen. Die toughe Londonerin wird es diesen Provinzlern schon zeigen. Doch ohne Unterstützung ihrer Mitarbeiter droht sie zu scheitern. Eine Erkenntnis, der sich Lisa letztlich stellen muss.

Marian Keyes, Sushi für Anfänger, Wilhelm Heyne Verlag

 

Meine aktuelle Schreibstimmung: Ich. Brauche. Mehr. Lesezeit.
Der Lippenstift: „Nude Scandal“ von Benefit        HKW_Website_ Icon Artikelende

 

Last modified: 4. Februar 2017

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