Lieber Santa Claus!
oder soll ich Dich besser in der in Deutschland üblichen Form anreden? Also:
Lieber Weihnachtsmann!
Wie die meisten Menschen in Deutschland bin ich mit dem Glauben an das Christkind aufgewachsen. Ein neugeborenes Kind in Windeln und ohne Lebenserfahrung ist jedoch nicht gerade die passende Person, der ich meine Wünsche vortragen mag. Und auch die alternative Figur des Christkinds, das blondlockige Engelchen, liegt mir nicht besonders als jemand, dem ich meine wichtigsten Anliegen anvertrauen könnte.
Imaginär seid Ihr sowieso beide. Du, lieber Weihnachtsmann genauso wie das Christkind. Mit meinen Wünschen wende ich mich in diesem Jahr ganz bewusst an Dich als einen lebenserfahrenen und, wie man von Dir sagt, einen weisen Mann.
Natürlich wünsche ich mir zu Weihnachten 2016 wie alle vernünftigen Menschen vor allem Frieden und dass endlich niemand mehr auf dieser Erde hungern oder vor Krieg fliehen muss. Jeder soll ein Dach über dem Kopf und sein Auskommen haben, soll friedlich und gesund leben können.
Diese Wunschliste teile ich mit Millionen von Menschen weltweit. Du kennst diese Liste, hast vermutlich dicke Stapel davon auf Deinem Schreibtisch liegen, kannst die Säcke voll mit Briefen kaum zählen, in denen Menschen diese Sehnsüchte formulieren.
In diesem Jahr wünsche ich mir auch überhaupt nichts für mich selbst, lieber Weihnachtsmann. Sondern für Frauen, die durch ihr Verhalten, ihre Wahl, ihre Missachtung weiblicher Solidarität Männern ermöglichen sie klein zu halten, ihre Kompetenzen zu beschneiden, sie zum unmündigen Accessoire zu degradieren.
Bitte, lieber Santa, lieber Weihnachtsmann, schenke all diesen Frauen ERKENNTNIS und WEITBLICK!
Und wenn ich eine weitere, vielleicht unbescheidene Bitte äußern darf: Bringe diesen Frauen die größte Kiste oder Palette, die riesigste Tasche, den schwersten Koffer, dicksten Beutel, gigantischsten Sack oder worin immer Du die Gaben ERKENNTNIS und WEITBLICK transportieren kannst.
Woran kannst Du die Frauen erkennen, die Du beschenken sollst, wirst Du jetzt fragen. Oh, sie sind leicht zu unterscheiden von uns anderen, die mit Männern, wie den Präsidenten Russlands, der Türkei und dem demnächst in das Amt des amerikanischen Präsidenten eingeführten Herrn so gar nichts anfangen können.
In meinem Fall, lieber Santa, will ich betonen, dass ich unter akuter Übelkeit leide (verzeih die Wortwahl, doch ich sage es, wie es ist: ich muss kotzen!) sobald ich auch nur ein Foto der genannten Machtmänner sehe.
Diese Kerle imponieren den zu beschenkenden Frauen mittels ihres „Männlichseins“, wobei sie es als typisches männliches Gebaren sehen, mit nacktem Oberkörper durch Sibirien zu reiten, den schnauzbärtigen Papa der Nation am Bosporus zu geben oder den Milliardär zu mimen, der sich gegen das Establishment wendet und
für kleine Leute einsetzt.
Es wird mir bereits während des Schreibens dieses Briefes übel, meine Galle steigt. Kein Funken Wahrheit ist dran an der Performance dieser Typen. Was bringt Frauen dazu, diese Despoten zu wählen, die sie letztlich entmündigen werden? Die Frauen in Arbeitslager nach Sibirien verbannen oder töten lassen. Die Frauen ins Haus und unter Kopftücher und Ganzkörperschleier stecken. Die Frauen beleidigen, meinen, ihnen zwischen die Beine greifen zu können und dafür Beifall zu ernten.
Weibliche Intellektuelle, Autorinnen und Journalistinnen sind diesen Machos natürlich suspekt.
Sie sind zu selbstbewusst, gebildet, intelligent und mutig. Und damit eine potenzielle Gefahr für ihr
ach so herrliches Selbstbild.
Dass Frauen offensichtlich auf solche Männer stehen belegen die Wahlergebnisse in Amerika im November 2016. Oder die zunehmende Zahl von Frauen, die sich verhüllen um, ja wem genau in der Türkei, zu gefallen. Oder die Frauen, die es schick finden, sich neben dem selbst ernannten Supersportler Russlands zu zeigen.
Was ist mit den Frauen, zumindest mit einigen von ihnen, geschehen? Wofür kämpften ihre Großmütter und Mütter, bisweilen schon die Urgroßmutter? Für maximale Gleichberechtigung, für die Mit- und Selbstbestimmung der Frau in allen Bereichen der Gesellschaft. Ich gehöre zwar nicht zur 68er-Generation, trug weder die legendären lila Latzhosen, noch verbrannte ich meine Büstenhalter oder skandierte „Mein Bauch gehört mir“. Die Babyboomer sind meine Generation. Eine Generation, in der Frauen es weit gebracht haben. Zur Bundeskanzlerin, Unternehmerin, Nobelpreisträgerin, Staatspräsidentin, Chefärztin … Die keine Sekunde daran verschwenden, darüber nachzudenken, sich hinter Schleiern zu verstecken oder das nett anzusehende Mäuschen zu geben, dem man gerne an den Busen fassen darf, solange der Mann an seiner Seite die Klunker und das hübsche Kleidchen bezahlt.
Santa, bitte glaube mir, ich bin weit davon entfernt, verallgemeinern zu wollen. Doch es gibt diese Frauen, zahlreicher als ich es mir wünsche. Und leider auch in allen Altersgruppen. Das macht die Angelegenheit keineswegs leichter. Ich will nicht die 68er zurück. Aber einen Teil ihres kämpferischen, nach Gleichberechtigung und gegen jede Art der Unterdrückung schreienden Geistes. Die Solidarität mit anderen Frauen anstatt des Verrats für High Heels und die Übernahme der Kosten für die kosmetische Rundumerneuerung ihres Luxusbodys. Es liegt mir fern, diese Frauen generell als ungebildet, dumm und oberflächlich zu diffamieren. Doch es ist so augenscheinlich, dass eines oder mehrere der genannten Attribute auf sie zuzutreffen scheint. Es ist schwer zu ertragen, Frauen dabei zuzusehen, wie sie diesen Herren zu immer mehr Macht verhelfen. Es ist unsolidarisch und unsozial. Und letztlich unweiblich, gemessen an meiner zeitgemäßen Definition des Wortes „weiblich“.
Santa Claus, Du bist selbst ein Mann. Ein weiser älterer Herr, so geht die Sage. Mit einer ebenso weisen älteren Frau zu Hause, wie ich vermute (hoffe). Du bist bekannt dafür, alle Menschen gleichzubehandeln. Ohne Ansehen ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder ihres Geschlechts. Deine Frau sucht die Geschenke aus, verpackt sie hübsch und schickt Dich dann mit dem Schlitten los, die Pakete pünktlich zu Weihnachten abzuliefern. Zusammenarbeit auf Augenhöhe, sozusagen. Wie wir Frauen uns das wünschen, wie es unsere Vorfahrinnen erkämpft haben. Und wie es jetzt durch klein gewachsene Muskelprotze, zwielichtige Onkeltypen und grenzdebil wirkende, ihre Fähigkeiten völlig überschätzende Lackaffen auf den Präsidentenstühlen der USA, der Türkei und in Russland sukzessive zunichtegemacht wird.
Deshalb bitte ich Dich von Herzen, lieber Weihnachtsmann, lieber Santa, schenke den Frauen
ERKENNTNIS und WEITBLICK.
Deine Heide Kuhn-Winkler
Last modified: 21. Dezember 2016