Total oldschool

von Bücher

Warum in Zeiten des Readers noch Bücher lesen? Weil sich zwischen den Seiten interessante Überraschungen verstecken könnten.

Reader sind praktisch für uns Vielleser, daran besteht kein Zweifel. Sie sind leicht, handlich und passen in jede Tasche. Außerdem kann man sich Lesefutternachschub besorgen, wo immer man Internetzugang findet. Am Abfluggate, im Wartezimmer, im Café, am Strand. Lektüre aussuchen, in den Warenkorb legen und drei Klicks später hat die Langeweile ein Ende. Ich kann mich also jederzeit aus dem realen Wahnsinn um mich herum ausklinken und in eine Geschichte eintauchen.
Auf Reisen mag ich meinen Reader nicht missen. Wenn ich zuhause bin, liegt er allerdings die meiste Zeit ungenutzt im Schrank. Dann ziehe ich „richtige“ Bücher aus Papier vor. Mit diesem Bekenntnis stehe ich nicht allein. Sie mögen einfach die Haptik des Papiers, erklären überzeugte Buchleser. Stimmt, doch es gibt mehr Vorteile: Während des Lesens zu einer bestimmten Stelle zurückzublättern funktioniert beim Papierbuch einfacher, als Seite für Seite zurückzuscrollen. Und es ist längst nicht so ein Genuss die gesammelten Cover auf dem Touchscreen anzusehen als mit schräg gelegtem Kopf am Regal entlangzugehen, Bücher rauszunehmen, Inhaltsangaben lesen, wieder zurückstellen und schließlich den Lesestoff auszuwählen.

Wenn ich nicht gerade auf der Suche nach einem bestimmten Titel bin, liebe ich es, in meinen Büchern zu blättern. Zum Beispiel nachdem ich ein Buch ausgelesen, mich aber noch nicht für das nächste entschieden habe. Oder, wenn ich Lust auf Entdeckungen spüre. Zu meinen Ticks gehört nämlich, dass ich Lesezeichen in Büchern hinterlasse, die dort warten, bis ich das Werk das nächste Mal aufschlage. Was manchmal erst nach Jahren passiert und dann zu einer Gedankenreise in die Vergangenheit führt. So vor einigen Tagen beim Kistenpacken. Da fand ich Lesezeichen, die mich bis in die Achtziger katapultierten.

Mit Lesezeichen meine ich übrigens keineswegs diese Gesangbuchbändchen, die aus gebundenen Ausgaben unten heraushängen. Die verstecke ich generell im Buch, ich finde sie hässlich. Selbstverständlich meine ich auch keine Eselsohren oder andere Verunstaltungen wie Flecken, Tintenkleckse oder Kaugummipapierchen. In meiner bisherigen Leselebenszeit benutzte und hinterließ ich alle möglichen Zeichen in Büchern. Vom selbst gebastelten und bestickten schmalen Kärtchen aus Karton über gestrickte Scheußlichkeiten bis zu schwarzem Leder mit Intarsien und Fransen sind sie nicht ausschließlich Lesezeichen, sondern auch Zeitzeichen.
Beim Bücherpacken fiel mir unter anderem ein Zettel mit einem Buchtitel auf die Füße: Rückwärts und auf Stöckelschuhen. Das Werk der österreichischen Sozialwissenschaftlerinnen Cheryl Benard und Edith Schlaffer las ich vor mehr als zwanzig Jahren. Noch etwas weiter zurück liegt die Zeit der kleinen blauen Karteikarte mit dem Satz „Frauen kommen langsam – aber gewaltig!“ Als ich dieses Zitat notierte und in ein Buch legte, fuhr ich in einem curryfarbenen Käfer durch die Gegend, auf dessen Heck ein Aufkleber mit eben diesem Spruch prangte. Damals gehörten Feministinnen wie die legendäre Betty Friedan zu meinen Vorbildern.

Neben diesen Hinweisen auf meine Vergangenheit fand ich Ermunterungen an mich, aufgeschrieben auf Papierschnipsel, Serviettenecken und Seiten kleiner Notizbücher. Meist standen nur einzelne Worte, Gedanken oder kurze Zitate darauf. Nicht immer erkannte ich auf Anhieb den Bezug zum Inhalt, als ich beispielsweise „Go ahead, Heide!“, „Martha’s Vineyard“ oder „Es ist nie zu spät, das zu werden, was man hätte sein können“ las.
Es machte Spaß, die Lesezeichen auszugraben. Fast hätte ich darüber das Kistenpacken vergessen. Neben meinen Notizen förderte ich einen Flyer für ein Yogastudio zutage, diese Lektüre liegt offensichtlich keine Jahrzehnte zurück. Außerdem kramte ich Visitenkarten (Patty wer?) hervor, eine Restaurantquittung aus den USA, Bekenntnisse des Autors („Niemals, niemals aufgeben“, Betty Halbreich), Ausrisse aus Zeitungen und Zeitschriften, vor allem Buchtipps, daneben Seltsames wie den Ratschlag „In 5 Stepps zum organisierten Büro“. Leider fehlte mir die Zeit, nach weiteren Symbolen meiner Lesevergangenheit zu fahnden. Das werde ich tun, wenn ich die Kisten demnächst an anderer Stelle auspacken muss.
Benutzt heute eigentlich noch jemand außergewöhnliche Lesezeichen? Eine Frage, die nach wenigen Klicks beantwortet war und mich fröhlich stimmte. Von wegen oldschool. Das Buch bleibt.

Meine aktuelle Schreibstimmung: Ich gestehe: Manchen Tick will ich überhaupt nicht aufgeben.
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Last modified: 21. Januar 2018

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