Ü6 Kita

von Beruf

Schreiben ist mein Lebensinhalt. Aber manchmal will ich einfach nur spielen.

Zum Schreiben braucht man einen klaren Kopf. Ideal wäre eine Deletetaste im Gehirn, um Gedanken zu eliminieren, die vom Text ablenken. Wäsche waschen, Rechnungen sortieren, Vorsorgetermin beim Zahnarzt vereinbaren: Alles vergessen. Jetzt ist Schreibzeit, sonst nix. Nur eine saubere weiße Seite auf dem Bildschirm und ich. Andererseits ist es besser, sich nicht auf die Zuverlässigkeit des Computers verlassen zu müssen. Hätten wir besagte Deletetaste gedrückt, könnte eine Errormeldung bedeuten, dass unsere Festplatte über der Stirn komplett und im schlimmsten Fall unwiderruflich gelöscht wurde.
Dann also doch die von Schreibcoaches empfohlene Methode: Wenn du im Text festhängst, bleib nicht stur sitzen, sondern lenke dich ab. Lese, treibe Sport, gehe spazieren oder beschäftige dich auf einem anderen künstlerischen Gebiet. Diesen Rat habe ich befolgt. Lange schon schleiche ich um einen Laden herum, in dem man Keramik bemalen kann. Zwar kann ich weder malen, noch bin ich versiert in der Zusammenstellung von Farbkompositionen. Da sich das Angebot an jeden richtet, der seine eigene Butterdose, Obstschale, den Namen für die Haustür oder wie ich eine Vase verzieren mag, buchte ich spontan einen Termin. Freitagnachmittag um eins, Vorkenntnisse nicht nötig, Lust und Laune mitzubringen genügte.
Mein Platz war reserviert; eine Mitarbeiterin erklärte mir alles Nötige. Ich suchte eine Vase aus, oval, flach und mit Platz für wenige langstielige Blumen. Farben, Pinsel und eine Drehscheibe stellte ich vor mich auf den Tisch. Auf eine Schablone verzichtete ich, wollte stattdessen Freihandmalen. Und dann schuf ich zwei Stunden lang mein erstes Kunstwerk in der Malerei. Große Worte, ich weiß, ich weiß. Die Wahrheit ist, ich hatte einfach unglaublichen Spaß. Seit der Zeit in einer Jugendgruppe der Kirche hatte ich nicht mehr mit Farben gespielt. Damals emaillierte ich leidenschaftlich, am Freitag kombinierte ich zig verschiedene Acrylfarben auf der Vase.
Es war verblüffend, wie schnell ich alles um mich herum vergaß. Welche Farbe setze ich als Nächstes an welche Stelle? Harmoniert dieses Orange mit jenem Rot? Soll ich vom Rosé lieber eine weitere Schicht auftragen? Mit welcher Farbe nehme ich diesem pastelligen Ensemble die Harmonie (der gewollte Stilbruch, hatte ich in Kunstbüchern gelesen)?
Mein Kopf war voll und zur gleichen Zeit völlig leer. Ich fühlte mich komplett entspannt und gleichzeitig hoch konzentriert. Die Mitarbeiterin lächelte wissend, als ich bemerkte, ich fühle mich wie in einer Kita. Niemand wollte etwas von mir, es gab nur mich und meine immer bunter werdende Vase. Hätte mich kaum gewundert, wenn aus dem Lautsprecher statt Hintergrundmusik die Ansage „die kleine Heide will noch nicht aus dem Bällebad abgeholt werden“ geschallt hätte.

Wie das Kunstwerk letztendlich aussehen wird, weiß ich, wenn ich es nach dem Brennen in drei Tagen abholen werde. Das ist eigentlich Nebensache; es wird auf jeden Fall mit hübschen Sommerblumen auf dem Tisch platziert. Keine Ahnung, ob ich noch mal einen Nachmittag in so verträumter Stimmung mit Farben und Pinsel verbringen werde. Vielleicht wenn mich der Cursor auf der leeren Seite wieder mal verhöhnt.

Last modified: 27. Mai 2018

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