Abschied von den Must-haves: Ballast abwerfen

von Selbstmarketing / Selbst-PR

Woran erkennt man auf den ersten Blick eine Topmanagerin? An der Pradatasche, der Cartieruhr und dem Seidencarreé von Hermès? Wohl kaum. Selbstbewusste Frauen haben sich der Bibel der Must-haves entledigt, die sie via Luxuslabel als erfolgreich identifizieren sollen.

Mein blauer Lippenstift ist kein Politikblog, ich bin nicht ihr größter Fan, aber sie ist nun mal die Erste, die mir in den Sinn kommt, wenn ich von Topmanagerinnen rede: Mutti, unsere Langzeitkanzlerin. Der Einfachheit halber und weil ich Abkürzungen liebe, will ich sie hier Mrs. M. nennen. Mrs. M. ist für mich die Befreierin der Konventionen in Sachen Statussymbole der Businessfrau. Ihr Auftreten ist unprätentiös, schnörkellos, sie gibt sich bescheiden in der Auswahl ihrer Accessoires, die sie im Job trägt. Es ist ganz offensichtlich nicht ihr Ding, sich zum Hingucker zu stilisieren. Was ihre Arbeit noch ernsthafter, noch seriöser wirken lässt. Mutti braucht keinen Glamour, um zu glänzen. Die Frisur, das Make-up, das Outfit: stets dezent, niemals overdressed. Sicher, Schuhe in Leoprint würde sie auch im Privatleben kaum tragen, in ihrem Verständnis vom Kanzlerinnenjob ist das jedoch undenkbar. Das überlässt sie der britischen Premierministerin. Mrs. M. wird der Brexitaussteigerin in künftigen Verhandlungen so dezent aufgemacht gegenübersitzen wie man das von ihr immer, überall und bei jeder Gelegenheit gewohnt ist. Mrs. M. ist top. Das muss sie nicht mit teurem Lifestyledekor unterstreichen. Sie hat eine Marke gesetzt, an der sich Frauen orientieren können. Mutti ist mein Vorbild in Sachen unaufgeregtes Styling.

Welchen Stellenwert sollten wir heute überhaupt noch den Statusaccessoires einräumen? Zum Beispiel dem Equipment. Die unverzichtbare Ausstattung für Frau im Beruf besteht aus Smartphone, Pad, Notebook und einer Power Bank. Glücklicherweise sind die Geräte leichter, flacher und kompakter als ihre Vorgängermodelle. Der Planer steckt im Smartphone, Termine zu vergessen ist praktisch ausgeschlossen. Diesen Luxus bot das gute alte, wenn auch in edles Leder gebundene, höchst dekorative Filofax nicht. Das bedeutete, man schleppte ein Pfund Gewicht mit sich herum, das eine busy Aura vermitteln sollte. Da die Handtasche selten geräumig genug war, trug man zusätzlich eine Laptoptasche von Termin zu Termin. Von meiner Schulter baumelte jahrelang ein „It-Piece“ in elegantem schwarzem Leder. Das bescherte mir mutmaßlich Arthrose im Gelenk, doch Frauen jammern nicht. Eines Tages kam dann unweigerlich das Aus dieser Designerherberge meines damals noch weit vom ultraleichten „Air“ entfernten Notebooks. Ich kaufte mir ein schlammfarbenes Etwas aus einem Chemiefasermix ohne Eigengewicht. Mein Laptop war aufgrund der neuen Bleibe beleidigt, die Schulter jubelte.
Das war ein erster Schritt raus aus der Falle, mittels Statussymbol als Businessfrau identifizierbar zu sein. Damit entsprach ich nicht mehr dem Ratgeber der „Must-haves für die erfolgreiche Frau“. Aber ich blieb keineswegs allein. Während dieser Zeit tauchten die ersten Rucksackträgerinnen im Morgenzug zum Flughafen auf. Manche ließen die Handtasche gleich zu Hause, verstauten Lipgloss und Co. neben Notebook und Geschäftspapiere im Nylonsack auf ihrem Rücken.

Schuhe. Das Thema schlechthin für Frauen. Schuhe aus bestem Leder, raffiniert geschnitten, „mittelhoch“, wie Kniggeprofis für Businessfrauen vorschreiben. Dabei dezent, ohne Glamour, Qualität sticht Style. Das war einmal. Frau trägt Sneakers. Und zwar bunte, gemusterte, mit Nieten verzierte, flache oder knöchelhohe, aber immer bequeme. In den Flieger stöckeln war vorgestern, das gaukelt uns nur noch die Domina von Germanys next Toptussen vor. Frau läuft in Ballerinas, die sich dem Fuß anschmiegen, statt ihn zu misshandeln.

Männer hängen nach wie vor an der Armbanduhr als ultimatives Statussymbol. Mrs. M. trägt am Handgelenk ein Modell für rund achtzig Euro. Unauffällig, mit schwarzem Band, nicht zu groß, nicht verspielt klein. Sieht so aus, als sei es ihr nur wichtig, die aktuelle Uhrzeit zu wissen. Das war’s dann auch schon mit dem Zweck der Uhr. Kein Geprotze, kein „seht her, meine Position erlaubt mir ausschließlich das Beste, Exklusivste, Wertvollste“.

Ich liebe Tücher, trage sie eigentlich immer, außer bei dreißig Grad im Schatten. Selbstverständlich fühlt sich ein feines Seidengewebe auf der sensiblen Haut des Halses angenehmer an als Baumwolle, Wolle oder Leinen. Es liegt einfach leichter auf der Haut, umschmeichelt sie eher als sie zu bedecken. Das Logo meiner Seidentücher verdecke ich, indem ich sie drehe und entsprechend binde. Flächendeckend große Schriftzüge selbst prominenter Designer empfinde ich als billig, auch wenn das gute Stück ein Monatseinkommen kostet. Außerdem will ich nicht als unbezahlte Werbefläche durch die Gegend laufen.
Mrs. M. sieht man zwar nie mit Tuch zum obligatorischen Blazer. Ich spekuliere allerdings, sie würde sowieso kein Modell tragen, bei dem die (Luxus-)marke schon von Weitem zu erkennen ist. Sie trägt dezente, wenn auch ausgefallene Ketten aus Steinen statt klobigen Goldpanzerteilen mit dickem Anhänger. Eine solche Frau bindet sich auch kein Tuch um, dessen Logo schreit „ich bin erfolgreich, eine Topmanagerin, habe die gläserne Decke schon lange durchbrochen“. Wenn sie denn eines trüge, so meine Spekulation, wäre da wieder das gleiche Understatement. Es würde jede Übertreibung fehlen, die bei wirklichen Topfrauen ohnehin obsolet geworden ist.

 

Meine aktuelle Schreibstimmung: Selbstbewusste Verweigerung
Der Lippenstift: „Not Shy“ von Dior        HKW_Website_ Icon Artikelende

 

Last modified: 11. Mai 2017

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