Fiktional versus autobiografisch

von Beruf

Seit rund zwanzig Jahren gehören zwei Romane einer amerikanischen Autorin, deren Namen ich aus persönlichen Gründen nicht nenne, zu meinen Lieblingsbüchern. Ach, was sage ich: Diese beiden Bücher sind Teile meines Lebens. Ich las sie immer wieder, sie hatten lange Zeit viel mit meinem Leben als berufstätige selbstbestimmte Frau zu tun. Im Laufe der Jahre veränderte sich dieses Gefühl natürlich, da die Protagonistin im Unterschied zu mir nie alterte. Dennoch sind beide Romane nach wie vor ein lieb gewonnener Teil von mir, ihr Platz ist ganz vorne im Bücherregal.
All die Jahre wartete ich vergeblich auf weitere Veröffentlichungen dieser Schriftstellerin. Sie hatte offensichtlich aufgehört, Bücher zu schreiben. Doch aus welchem Grund?
Da ich mich in erster Linie für amerikanische Autoren interessiere und mit einigen auch kommuniziere, war ich außer mir vor Freude, als ich vor einiger Zeit zufällig mit der Verfasserin meiner beiden Lieblingsromane in Kontakt kam. Nach und nach erfuhr ich, wie ihr Leben verlaufen ist. Sie arbeitet heute als Lehrerin und bloggt, doch sie schreibt keine Bücher mehr.

Was ist geschehen? Ist sie leer geschrieben oder will sie keine Belletristik mehr verfassen? Das Gefühl, leer geschrieben zu sein, kann ich gut verstehen, schließlich geht es mir ähnlich mit den Themen, über die ich früher schrieb (siehe https://www.hkw-pressoffice.eu/). Doch der Grund ist ein anderer, das wurde mir bewusst, sobald ich sie näher kennenlernte: Sie hatte in ihren beiden einzigen Büchern von einigen schriftstellerischen Freiheiten abgesehen ihr Leben aufgeschrieben. Ihr erstes Buch, das mir am meisten bedeutet, beschreibt ihr Leben als berufstätige Frau. Im zweiten erzählt sie von ihrem Weg als Frau, die ihre Liebe findet. Dem Weg, der zu ihrem heutigen Leben führte. Diese Erkenntnis wirft bei mir die Frage auf, ob man als Autorin entweder ein literarisches Genie ist, mit Fantasie und der Fähigkeit, fiktiven Figuren Leben einzuhauchen. Oder ob man sich zufriedengeben muss mit dem, was man von sich zu erzählen hat: sein eigenes Leben.

Autobiografie oder Harry Potter. Tagebuchaufzeichnungen oder Elizabeth Bennet. „Die Glasglocke“ oder „Wem die Stunde schlägt“. Autobiografisch oder fiktiv? Um der Frage weiter auf den Grund zu gehen, begann ich zu recherchieren. Beim Genre „autobiografisches Schreiben“ weise ich allerdings darauf hin, dass ich keinen Buchstabenkompost meine, den kunstblonde Reality Sternchen mit dem Intellekt einer Amöbe verfasst zu haben vorgeben, in dem sie die Leser an ihrem Hochzeitsvorbereitungen genauso teilhaben lassen wie an einem Pups in ihrem Bauch oder der Geburt ihres Nachwuchses.

Wann immer ich also ein richtiges Buch von tatsächlichen Autoren lese, das nicht eindeutig auf Fiktion hinweist wie etwa ein Thriller, suche ich nach Informationen über den Autor oder die Autorin, um zu ergründen, ob persönliche Erfahrungen in die Erzählung eingeflossen sein könnten. Dabei stieß ich bisweilen auf bemerkenswerte, künstlerisch große Arbeiten. Zum Beispiel bei Siri Hustvedt, um nur eine Literatin zu nennen, die mir viel bedeutet und in deren Werke häufig eigene Lebenserfahrungen zu finden sind. Gekonnt baut sie ein Geflecht aus erfundenen Figuren und Handlungen, wobei sie sich und Menschen die ihr nahe stehen in der Geschichte verwebt, nur erkennbar für den Leser, der sich mit der Autorin und ihrem Leben befasst hat. Keine platten Selbstbekenntnisse, keine Nabelschau, stattdessen die Arbeit einer Schriftstellerin, die bisweilen Anleihe nimmt an dem, was sie am besten kennt. Ihrem Leben.
Ausnahmen findet man übrigens sogar bei Thrillern. Selbst in diese Bücher bauen versierte Schriftsteller, wie etwa Stephen King erklärt, bisweilen ihnen wohl vertraute Charaktereigenschaften, ihr Über-Ich oder Alter Ego ein. Wenn auch nicht bei der Bestie in der Geschichte, so aber doch bei Figuren der Rahmenhandlung.

So stehe ich also vor der Frage, wie es um meine Fähigkeiten steht, halbwegs vernünftige Texte jenseits meines journalistischen Berufs zu produzieren? Ich vollziehe ja quasi einen Berufswechsel. Zwar gebe ich die eine Persönlichkeit – die Journalistin – keineswegs auf. Aber ich arbeite gleichzeitig mit Feuereifer daran, die andere Person in Heide Kuhn-Winkler – die Schriftstellerin – aufzubauen. Beherrsche ich die Kunst, beides zu formulieren, Erdachtes wie Erlebtes?
Das Urteil liegt letztlich beim geneigten Leser. Doch in den vergangenen Wochen, während des National Novel Writing Month, machte ich eine erstaunliche Entdeckung: Mitten im Schreibprozess der ersten, fiktiven Geschichte, die ich in diesem Monat erzählen wollte, legte sich eine völlig neue Story mit stark biografischen Zügen über die zuerst begonnene Geschichte. Der Versuch, sie zu Ende zu schreiben, blieb vergeblich, denn plötzlich liefen meine Gedanken zweispurig nebeneinander, Story eins neben Story zwei. Wie sich herausstellte, fesselt mich die zweite Erzählung jetzt derart dauerhaft, dass ich sie vor der erfundenen Geschichte aufschreibe. Könnte das bedeuten, ich bin fähig beides zu vereinen in meiner Arbeit, Autobiografisches und Fiktionales? Und beide Genres auch in einem Werk zu verweben? Dieser Gedanke gibt der Hoffnung meines Autorenegos frische Nahrung.

Meine aktuelle Schreibstimmung: Mut zur Authentizität
Der Lippenstift: „Bobbi“ von Bobbi Brown        HKW_Website_ Icon Artikelende

Last modified: 7. Dezember 2016

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