Nicht wollen müssen

von HKWs Pinnwand

Verzicht zu üben ist eine Tugend. Wird der Verzicht jedoch verordnet, empfindet man ihn als Bestrafung.

Zu Halloween habe ich im Grunde keine Beziehung. Diesen Trick-or-treating Brauch kenne ich aus den USA. Vor einigen Jahren schwappte er über den Atlantik zu uns nach Deutschland. In diesem Jahr beherrscht die Pandemie selbst dieses harmlose Betteln um Süßigkeiten an der Haustür. Die Familienministerin rät davon ab. Das gleiche gilt für die eigentlich kaum weg zu denkende Tradition des Laternenumzugs am Sankt Martinstag. Der fällt genauso aus wie die Weihnachtsmärkte und vermutlich sogar Weihnachten. Das Virus nehme keine Rücksicht auf Feiertage, sagte uns die Bundeskanzlerin vor Ostern in ihrer typischen Oberlehrerinnenart. Einen ähnlichen Satz wird sie aller Voraussicht nach im Advent an die Bürger richten.
Es geht ja nun überhaupt nicht darum, vorsichtig zu sein, Rücksicht auf andere zu nehmen und uns an Regeln zu halten. Dazu bedarf es im Monat neun nach Beginn der Pandemie in Deutschland keiner Diskussion mehr. Allerdings frage ich mich, wie lange Menschen verzichten können, wenn sie zunehmend das Gefühl vermittelt bekommen, bevormundet zu werden, sogar auf kleine Freuden wie den Umzug mit der selbst gebastelten Laterne verzichten zu müssen, der mit Mundschutz und Abstand durchaus funktionieren könnte. Im Freien ähneln die Verordnungen inzwischen denen für den Innenraum. Freiwilliger Verzicht mag edel sein, verzichten auf Anordnung verführt dagegen zum Aufbegehren.
Wie gelingt es, die Bürger zu bewegen, den Katalog von Regeln, angemahnten wie per Gesetz verfügten, widerspruchslos zu akzeptieren? Der Winter werde schwer, aber er würde enden, sagte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung zum nun erneut beschlossenen Lockdown. Glaubt sie ernsthaft, mit solchen Phrasen den Verzichtwillen der Menschen zu befeuern? Dass dies gelingt, ist eher unwahrscheinlich. Wie man es schafft, Menschen aus eigenem Antrieb zum Befolgen der Regeln zu bringen, erklärt der Sozialpsychologe Klaus Fiedler: „Indem man die Menschen nicht erziehen und gängeln will, sondern sie als Partner betrachtet. Und indem man sie um Rat fragt. Wenn man ihnen das Gefühl gibt, dass sie selbst mitgeholfen haben, mit dieser Pandemie umzugehen, dann hat das einen Schneeball-Effekt, und viele werden kreative Ideen entwickeln“.

https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Kommt-jetzt-die-Epidemie-der-Einsamkeit-413622.html

Last modified: 29. Oktober 2020

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