Schreiben im Café: Ein Selbstversuch

von Beruf

An den unterschiedlichsten Orten zu schreiben ist für Autoren normal. So auch für mich. Unerklärlicherweise schreibe ich aber nie in Cafés. Weshalb ist das so? 

Diese Frage hatte ich mir bisher nicht gestellt, obwohl es doch seltsam ist, schließlich arbeite ich auch in meiner Lieblingsweinstube beim Rosé. Und ich mag den Kaffeeduft. Trotzdem habe ich nie im Café oder Coffee Shop geschrieben. Ein Tick? Pure, wenn auch nicht erklärbare Eigenwilligkeit? Liegt es vielleicht am Angebot oder besser gesagt am nicht vorhandenen Angebot attraktiver Cafés? Unsinn, die Weinstube würde ich zumindest optisch auch kaum als attraktiv bezeichnen. Ist ohnehin unwichtig. Hauptsache die Weinqualität und der Service stimmen.

Ich hatte keine Erklärung. Ich wusste keine Antwort. Zumindest bis gestern. Da schnappte ich mir kurz entschlossen mein Notebook und machte mich auf den Weg ins nächste Café. Nein, der Ordnung halber: ins nächste Café, in dem ich sowieso öfter einen Stopp auf einen Espresso einlege. Das Geschäft ist mir vertraut, die Chefin nett und schon deshalb stellt sich die Frage, wieso ich gerne Zeitung oder mein mitgebrachtes Buch lese, aber nie dort schreibe. Bisher. Gestern startete ich also einen ersten Versuch.

Die Atmosphäre ist irgendwie anders als sonst. Automatisch nehme ich wie immer gleich beim Eingang eine Tageszeitung vom Haken. Ja, richtig, vom Haken. Die Chefin ist eine coole Intellektuelle, bei der Zeitungen wie eh und je in spezielle Zeitungsbügel geklemmt werden, damit man sie leicht umblättern kann beim Kaffee schlürfen. Mit der Zeitung bewaffnet suche ich mir einen Platz am kleinen Tisch hinten rechts neben der Theke. Tasche mit Laptop auf den Nachbarstuhl, Jacke ausziehen, die übliche Bestellung noch im Stehen ordern, hinsetzen, Zeitung vor mich auf den Tisch legen.
Ähem, da war doch was? Kurzer Blick auf die Tasche neben mir, seufzen, Zeitungsbügel erst mal auf den Stuhl, dafür Notebook auf den Tisch. Starttaste drücken, warten. Kaffee kommt. Ich bestelle ausnahmsweise Käsekuchen, schließlich will ich länger bleiben als sonst. Und falls mir nix zu schreiben einfällt, kann ich wenigstens was Leckeres essen.

Der Tisch ist eindeutig zu klein, zumindest wenn man nicht alleine sitzt. Das Café ist um diese Zeit am Vormittag gut gefüllt. Ich bin zwar nicht die Einzige mit Laptop, es sitzen noch einige Herren allein an den Tischen, doch eine Frau mit Yogamatte unterm Arm guckt mich als Tischnachbarin aus. „Darf ich?“, fragt sie. „Sicher“, antworte ich mit einem kleinen Lächeln. Sie verstaut die Yogamatte und ihren Rucksack neben sich auf dem Boden, schaut sich um, geht zum Zeitungshaken, kommt mit einem Exemplar zurück. Jetzt ist der Moment, wo der Bistrotisch zu knapp bemessen ist, um mich dort alleine breitzumachen. Ich ziehe den Computer näher an mich heran, lasse ihn gerade noch teilweise auf dem Tischchen stehen, sodass ich tippen kann, ohne ihn runterzuwerfen. Meine Espressotasse und den Kuchenteller arrangiere ich dicht daneben. Der ideale Arbeitsplatz sieht anders aus. Murren gilt nicht, ich wollte es so, wollte mich fühlen, wie sich Kaffeehausliteraten fühlen. Großes Vorhaben, eher mäßiges Gefühl, lautet meine erste Bilanz.

Ob ich an die Theke umziehen soll? Dort sitzt gerade niemand und für mein Notebook ist sie breit genug. Meine Erziehung schlägt jetzt voll durch, das brave Mädchen will nicht unhöflich zu ihrer Tischnachbarin sein, selbst wenn die yogamäßig entspannt wirkt und möglicherweise Verständnis für meine Lage aufbringen würde. Also bleibe ich, wo ich bin, nehme einen Bissen Käsekuchen und versuche mich auf meinen Text zu konzentrieren.

Was mir auch einige erstaunliche Minuten lang gelingt. Dann schweift zuerst der Blick ab, gefolgt von meinen Gedanken. Die aber nix mehr mit meinem aktuellen Thema zu tun haben, sondern sich mit den Mitgästen beschäftigen. Ich hatte es an anderer Stelle schon zugegeben: Ich bin neugierig, beobachte, lausche den Gesprächen um mich herum.

Der Lärmpegel steigt abrupt, als eine Fünfergruppe Mütter mit Kinderwagen und Kleinkindern im Schlepptau das Geschäft entert. Goldig, die Kleinen, relaxt die Mamis. Offenbar sind sie Stammgäste, denn sie steuern geradewegs auf eine, vermutlich „ihre“ Ecke gleich vorne beim Fenster zu, wo sie die Kinderwagen parken, einen Stuhl als Garderobe für ihre und die Jacken der älteren Kinder umfunktionieren. Von den Babys im Wagen ist kein Mucks zu hören, zumindest noch nicht. Die Mamis sind organisiert: In Windeseile werden Tee, Kaffee, Kakao, Säfte geordert. Dazu ein paar Muffins für die Kinder. Alle sitzen, warten auf das Bestellte, plaudern, lachen. Ich wende meinen Blick wieder ab, die Show ist zu Ende, der Cursor auf dem Bildschirm signalisiert, dass mein Text wartet.

„Was machst du?“ Ein Finger tippt auf mein Knie. Neben mir steht ein Knirps, seine Nase reicht kaum bis zur Tischkante. Knirps schaut nach oben, in mein Gesicht, wiederholt seine Frage: „Was machst du?“ „Ich“, komme ich ins Schleudern als wolle mich eben ein Typ anmachen. „Ich schreibe“. Zu wenig Information, zumindest zu unkonkrete Angaben für den Kleinen. Der übrigens hinreisend aussieht mit seinen blauen Augen und den rotblonden Locken. Ich schaue zur Müttergruppe, versuche anhand der Optik die Mami auszumachen. Keine Reaktion oder suchenden Blick von dort, dafür nochmals ein Tippen auf meinem Bein, etwas stärker als zuvor, mit leichtem Nachdruck. „Was schreibst du?“, stellt Knirps die logische nächste Frage. Bevor ich zu Ende überlegen kann, was ich darauf antworten soll (die Antwort „einen Marketingartikel“ wird ihn voraussichtlich nicht befriedigen und weitere Fragen heraufbeschwören), bevor ich also eine Antwort parat habe, steht des Rotblondschopfes Mami bei uns. „Max, komm, lass die Frau arbeiten“, sagt sie und lächelt mich entschuldigend an, nimmt die Hand ihres Sohnes und lotst ihn zurück in die improvisierte Mami-Baby-Kleinkindecke. „Kein Problem“, erwidere ich, winke Max zu und bin froh, seinen investigativen Fragen zu entkommen. Inzwischen laufen auch die anderen Kleinen zwischen den Tischen herum, betreiben Konversation mit den Gästen. Nur die Babys scheinen kein Interesse am Small Talk zu haben und liegen lieber im warmen Wagen. Eines wird gerade gestillt. Blick zurück zum Bildschirm, mein Text wartet immer noch auf Wörternachschub.

Während meiner Zeit als Redakteurin gehörte es ganz selbstverständlich zum Alltag, zu texten, während die Kolleginnen telefonierten oder einen Plausch neben meinem Schreibtisch hielten. Anscheinend gewöhnte ich mich in den letzten Jahren an meine selbst gewählte Ruhe als eine, die alleine in ihren vier Wänden sitzt und über einem Text brütet. In meinem „Zweitbüro“, dem Weinlokal, ist der Geräuschpegel wesentlich niedriger als in diesem Café. Vielleicht ist das Drumherum weniger abwechslungsreich als mit Max und seinen Kumpels. Mein Fazit lautet dennoch: Im Café werde ich künftig wie gehabt lesen und nicht schreiben. Hatte ich es geahnt und deshalb nie infrage gestellt? Nennen wir es Tick oder Eigenwilligkeit…

 

Meine aktuelle Schreibstimmung: Im Café trinke ich nur Kaffee.
Der Lippenstift: „Hothead“ von Bellápierre        HKW_Website_ Icon Artikelende

Last modified: 20. April 2017

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