Abgehängt, hoffnungslos, einsam

von Beruf

Niemals, wirklich niemals hätte ich gedacht, dass ich mich einmal in einer so verzweifelten Situation befinden würde: Ich habe keinen Internetzugang.

Gegen meine sonstige Gewohnheit entschloss ich mich heute Morgen, im Café zu schreiben. Nach dem Aufwachen zeigte der Blick aus dem Fenster heftigen Regen und eine geschlossene, graue Wolkendecke. Doch als ich aus dem Bad kam, hatte die Sonne sich durchgekämpft, es war ein schöner Sommermorgen. Also packte ich spontan mein Notebook ein und marschierte los in Richtung einer kleinen Cafébar, die ich vor Kurzem entdeckt und als eine weitere Lieblingslocation adoptiert hatte. Keine Kette, sondern ein privat geführtes Lokal an einem der vielen idyllischen Berliner Plätzen von Miniaturgröße gelegen. Die Studenten hinterm Tresen sind ausgesprochen freundlich, Kaffee und frisch gepresste Smoothies superlecker. Außerdem gibt es dort Bagels, belegt, womit auch immer das Herz begehren mag. Und ich liebe diese Brötchen mit Loch in der Mitte, am liebsten mit Cream Cheese bestrichen, die ich für mich entdeckte, als ich bei einer Freundin auf der New Yorker Upper West Side wohnte. Das Thema für meinen Blogeintrag dieser Woche stand fest; ich würde ihn im Café schreiben. Mails checken konnte ich dann auch gleich dort, Hauptsache ich war raus aus der Wohnung. Vorsichtshalber steckte ich noch den Schirm in die Tasche und machte mich auf den Weg.

Im Café herrschte wie immer um diese Zeit reger Betrieb. Die Kaffeemaschine lief im Dauerbetrieb, die Saftpresse spuckte ununterbrochen gesunde Cocktails aus. Die Bagels, Croissants und Kuchen in der Vitrine versprachen meinen Tag perfekt beginnen zu lassen. Ich fand (offenbar mein Glücksmorgen) einen kleinen Tisch beim Fenster, auf dessen breitem Bord ich Brille, Handy, Wasserglas deponieren konnte. Laptop und Kaffeeglas baute ich auf dem Tischchen vor mir auf. Ich nahm einen ersten Schluck heißen Milchkaffee, drückte die On-Taste, wartete, bis das Gerät aus dem Schlaf erwachen würde. Noch bevor ich das Dokument für meinen Blog öffnen würde, wollte ich mich in das Wlan-Netz einloggen, um meine Mails zu lesen. Mein Notebook erkannte die Verbindung, an die es schon oft angedockt war. Alles klar, Signalstärke „ausgezeichnet“. Aber es irritierte mich, dass ich nicht ins Internet kam. Die Meldung „Es kann keine Verbindung mit Soundso hergestellt werden“ legte nicht nur prompt meinen Versuch, mit der digitalen Welt zu kommunizieren lahm. Sie versetzte mich in Hektik, ließ augenblicklich eine innere Unruhe entstehen, die mich selbst verblüffte. Was sollte das? Ich ließ das Notebook noch mal hochfahren, damit es sich in den Router des Cafés einwählen konnte. Das war sonst auch kein Problem gewesen und die Signalstärke verkündete nach wie vor beste Qualität.

Um eine längere Leidensgeschichte in wenigen Sätzen zu erzählen: Ich kam nicht ins Netz, keine Chance. In der morgendlichen Hektik wollte ich die Mitarbeiter nicht bitten, kurz den Router zu ziehen. Wozu auch? Mein Computer erkannte ihn ja, war aber unfähig, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Ich ließ ihn mehrere Male neu starten, nutzte die Diagnose- und Reparaturangebote des Betriebssystems. Es blieb dabei: keine Verbindung, nicht mit dem lokalen Netz, nicht mit dem Internet.

An den Schirm hatte ich gedacht, aber weder das USB-Kabel des Mobiltelefons noch den Surfstick eingepackt. Die Mails konnte ich auf dem Handy checken, das wäre kein Problem. Wollte ich jedoch nicht. Ich war bockig. Ich wollte ins Netz, wollte online sein. Sollte ich überhaupt einen Bagel bestellen oder gleich zurück nach Hause gehen? Darüber dachte ich ernsthaft nach. Klingt irgendwie pathologisch. Ist es vermutlich auch.
Inzwischen hatte ich bereits einige Zeit vergeudet mit erneuten Log-in-Versuchen, mit Diagnose und Reparatur. Noch immer war ich offline, fühlte mich schlecht, von der digitalen Welt ausgegrenzt.
Konnte das wahr sein? Wie oft hatte ich mich echauffiert über Internetjunkies? Hatte gewitzelt, gelästert, den Kopf geschüttelt über Leute, die keine Minute ohne Netzzugang leben konnten. Und nun saß ich da wie ein begossener Pudel und wollte nur noch nach Hause, um sicherzustellen, dass ich noch Zugang zum Internet hatte. Drahtlos und schnell. Ohne Probleme, ohne die Horrormeldung es könne keine Verbindung hergestellt werden.

Wann musste ich zuletzt offline arbeiten? Konnte nicht eben schnell eine Wortbedeutung überprüfen oder ein passendes Synonym suchen? Dieser Vormittag entwickelte sich zu einer Lernzeit: Zum einen lernte ich, meinen Text fertigzustellen und ihn erst später komplett zu redigieren, wie es ohnehin von Schreibtrainern empfohlen wird. Mein Blogartikel wird zwar hier und heute nicht zu lesen sein, doch ich schrieb ihn zu Ende, um ihn zu Hause mithilfe meiner Online-Ratgeber zu überarbeiten.
Außerdem lehrte mich dieses technische (oder eher psychische?) Hindernis Geduld. Ich atmete bewusst tief durch, schaute in die Runde, beobachtete die teils morgenmüden, teils erstaunlich munteren Gesichter – und musste über mich schmunzeln. Gehörte ich doch tatsächlich zu einer Spezies, die ich belächelte, deren zwanghaftes Verhalten ich nicht verstand?

Zu Hause wählte sich mein Notebook übrigens ohne jede Verzögerung in das Wlan-Netz ein. Und ich erfuhr ein weiteres Lehrstück: Die Mails vom Vormittag enthielten keine einzige Mitteilung oder Anfrage, die nicht für Stunden im Offline-Modus auf Antwort warten konnte.

Meine aktuelle Schreibstimmung: Schätze, ich muss lernen, mich zu beherrschen.
Der Lippenstift: „Mulberry“ von Isadora        HKW_Website_ Icon Artikelende

Last modified: 29. Juni 2017

    × schließen